Die Frage „Wann ist ein Mensch tot?" beschäftigte den Deutschen Ethikrat
Nach geltendem Transplantationsrecht dürfen Organentnahmen im Wesentlichen nur bei Menschen vorgenommen werden, deren Tod einwandfrei festgestellt wurde. Ob der Hirntod dafür das ausschlaggebende Kriterium sein darf, wird seit einigen Jahren wieder vermehrt öffentlich diskutiert. Die Antworten fallen – je nachdem, welches Verständnis vom menschlichen Tod zugrunde gelegt wird – unterschiedlich aus.
Der US-amerikanische Neurologe D. Alan Shewmon, Autor zahlreicher Studien zu diesem Thema, vertrat die Auffassung, dass das Ende des menschlichen Lebens nicht durch den Ausfall der Gehirnfunktionen, sondern durch die fehlende Integrationsfähigkeit des gesamten Organismus markiert werde. Diese Integrationsfähigkeit bleibe in manchen Fällen auch beim Ausfall aller Gehirnfunktionen erhalten. Sie manifestiere sich zum einen darin, dass hirntote Patienten unter anderem ihre Körpertemperatur regulieren, sich gegen Infektionen zur Wehr setzen und ein ungeborenes Kind austragen können, und zum anderen darin, dass der Organismus in einigen von ihm untersuchten Fällen zur Aufrechterhaltung seiner vitalen Funktionen relativ wenig technologische Unterstützung, wie zum Beispiel die dauerhafte Beatmung, benötige.
Stefanie Förderreuther, Neurologin am Klinikum der Universität München, befürwortete im Gegensatz zu Shewmon die medizinische Hirntod-Konzeption. Der Hirntod unterscheide sich eindeutig von anderen Syndromen wie dem Koma oder dem Locked-in-Syndrom. Eine Verwechslung von Hirntod und Wachkoma sei klinisch nicht möglich. Die Diagnostik des Hirntods erfolge nach strengen standardisierten Kriterien, auf deren Grundlage der irreversible Ausfall aller Gehirnfunktionen sicher ermittelt werden könne. Anders als Shewmon resümiert sie: „Ohne Gehirn ist der Mensch als körperlich geistige Einheit nicht mehr existent.“
Ralf Stoecker, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Potsdam, sieht dagegen „kein überzeugendes Argument für die Gültigkeit der Hirntod-Konzeption“. Er stimmte mit Shewmon darin überein, dass hirntote Menschen zwar unwiderruflich das Bewusstsein und ihr psychisches Innenleben verloren hätten, aufgrund der noch vorhandenen Integrität des Organismus jedoch noch nicht tot seien. Stoecker versuchte, das ethische Dilemma, dass man mit Organspenden Menschen helfen könne, dafür aber nur wirklich tote Menschen als Spender infrage kämen, aufzulösen, indem er auf die unscharfen Ränder von Begriffen wie Leben und Tod verwies: Hirntote Patienten befänden sich in einem Zwischenstadium von Leben und Tod, sie wiesen sowohl Merkmale von Lebendigkeit als auch Merkmale des Todes auf; entsprechend müsse man sie in mancher Hinsicht wie Lebende behandeln, könne ihnen jedoch auf der anderen Seite in mancherlei Hinsicht kein Leid mehr antun, weil man sie keiner Zukunft mehr berauben könne, wodurch eine Organentnahme ethisch zu rechtfertigen sei.
Michael Quante, Professor für Philosophie an der Universität Münster, verwies mit Blick auf Stoeckers Auffassungen auf tiefgreifende philosophische Differenzen. Quante zufolge ist die angemessene Definition des Todesbegriffs keine ethische, sondern eine metaphysische Frage nach der Existenz und deren Ende durch den Tod. Um diese Frage zu beantworten, bedürfe es eines Dialogs zwischen Naturwissenschaftlern und Naturphilosophen über das Ende der menschlichen Existenz. Es gehe „um einen naturwissenschaftlich und naturphilosophisch angemessenen Begriff des (menschlichen) Organismus“.
In der anschließenden Podiumsdiskussion, an der neben den Referenten des Abends auch Eckhard Nagel und Eberhard Schockenhoff, Mitglieder des Deutschen Ethikrates, teilnahmen, ging es vor allem um Konsequenzen der verschiedenen Auffassungen für die medizinische Praxis. Für Nagel als Transplantationsmediziner sei es undenkbar, einen Menschen zu töten, um einen anderen zu retten. Im Gegensatz zu Shewmon und Stoecker sehe er jedoch den hirntoten Patienten als eindeutig tot an und halte die Praxis der Transplantationsmedizin daher weiterhin für legitim. Auch Schockenhoff zeigte sich davon überzeugt, dass hirntote Patienten als eindeutig tot angesehen werden müssen. Denn anders als Shewmon verstehe er den Lebensbegriff in der Bedeutung, dass ein lebendiger Organismus etwas selbst hervorbringe und damit eine selbsterwirkte Einheit darstelle, was durch keine umfassende Substitution ausgefallener Organfunktionen ersetzt werden könne.
Sowohl in der Diskussion auf dem Podium als auch in den Beiträgen aus dem Publikum wurde deutlich, dass in jedem Fall die Würde hirntoter Menschen zu achten sei und die Angehörigen auf der Intensivstation stärker angesprochen und eingebunden werden sollten. Indem sie zum Beispiel die Hirntod-Diagnostik begleiteten, könnten sie den Tod ihres Angehörigen eher begreifen und letztlich akzeptieren.
Die Beiträge der Veranstaltung können unter "Forum Bioethik" nachgehört und nachgelesen werden.