Pressemitteilung 06/2009

Ethikrat legt Stellungnahme zur anonymen Kindesabgabe vor

Unter dem Titel "Das Problem der anonymen Kindesabgabe" hat der Deutsche Ethikrat heute seine erste Stellungnahme verabschiedet.
26.11.2009

Die seit 1999 in Deutschland eingerichteten Babyklappen sowie die Angebote zur anonymen Geburt wurden mit dem Ziel geschaffen, Kindsaussetzungen und -tötungen zu verhindern. Schätzungen zufolge sind durch diese Angebote seit ihrer Einführung mehr als 500 Kinder zu Findelkindern mit dauerhaft anonymer Herkunft geworden. Die bestehenden Angebote anonymer Kindesabgabe sind ethisch und rechtlich sehr problematisch, insbesondere weil sie das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft und auf Beziehung zu seinen Eltern verletzen. Die bisherigen Erfahrungen legen zudem nahe, dass Frauen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie ihr Neugeborenes töten oder aussetzen, von diesen Angeboten nicht erreicht werden. Die ethischen und rechtlichen Probleme der anonymen Kindesabgabe werden in der Stellungnahme des Ethikrates im Einzelnen dargelegt.

Die öffentlichen Stellen der Kinder- und Jugendhilfe und die freien Träger sowie die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen halten dagegen auf gesetzlicher Grundlage ein umfangreiches Angebot an wirksamen Hilfestellungen für Frauen selbst in extremen Notlagen bereit, bei denen sichergestellt ist, dass insbesondere dem Kind seine Herkunft und leibliche Familie nicht unbekannt bleiben. Allerdings werden diese Angebote nicht immer angenommen.

Der Deutsche Ethikrat möchte mit seinen Empfehlungen dazu beitragen, dass Schwangeren und Müttern in Notsituationen so gut wie möglich geholfen wird, ohne die Rechte anderer, insbesondere ihrer Kinder, zu verletzen.

Der Ethikrat empfiehlt, die vorhandenen Babyklappen und Angebote zur anonymen Geburt aufzugeben. Dies sollte in einem gemeinsamen Vorgehen aller politisch dafür Verantwortlichen bewirkt werden. Begleitend sollten die öffentlichen Informationen über die bestehenden legalen Hilfsangebote für Schwangere und Mütter in Not- und Konfliktlagen verstärkt werden. Des Weiteren sollten Maßnahmen ergriffen werden, um das Vertrauen in die Inanspruchnahme der legalen Hilfsangebote zu verbessern.

Um Schwangeren und Müttern in Notlagen darüber hinaus zu helfen, schlägt der Ethikrat ein "Gesetz zur vertraulichen Kindesabgabe mit vorübergehend anonymer Meldung" vor. Damit würde eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um Frauen, die in einer schweren Not- oder Konfliktsituation ihre Mutterschaft meinen verbergen zu müssen, durch ein besonders niederschwelliges Angebot zu helfen, das ihnen die Lösung ihrer Probleme im Rahmen einer Beratung und Begleitung unter Wahrung absoluter Vertraulichkeit garantiert.

Der Ethikrat weist in seinen Empfehlungen des Weiteren darauf hin, dass unbestritten ist, dass in Fällen, in denen unmittelbare physische Gefahr für Leben und Gesundheit von Mutter und Kind besteht, das Notstandsrecht die medizinische Betreuung einer Frau bei der Entbindung aufgrund der Hilfeleistungspflicht auch dann legitimiert, wenn sie ihre Identität nicht preisgibt. Dies gilt aber nicht für das systematische, von einem individuellen akuten Notfall unabhängige Angebot anonymer Kindesabgabe, wie die Babyklappe und das Angebot der anonymen Geburt sowie für die Unterstützung der Aufrechterhaltung der Anonymität nach Wegfall der akuten Notlage.

Für die Fälle, in denen Kinder dennoch anonym zurückgelassen werden, hält der Deutsche Ethikrat Mindestmaßnahmen zum Schutz der Rechte des Kindes und seiner Eltern für notwendig, vor allem die umgehende Meldung des Kindes beim Jugendamt und die Bestellung eines Vormundes, der von der Stelle, bei der das Kind anonym abgegeben wurde, unabhängig ist.
In einem ergänzenden Votum haben zwei Ratsmitglieder zum Ausdruck gebracht, dass sie die Empfehlungen des Rates, insbesondere die Angebote der anonymen Kindesabgabe aufzugeben, mittragen, die vom Rat vorgeschlagene gesetzliche Regelung für eine vertrauliche Geburt allerdings nicht für erforderlich halten, weil das Ziel, Frauen zur Bewältigung ihrer Notsituation einen vertraulichen Schutzraum zu gewähren, bereits mithilfe der legalen, niederschwelligen Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten erreicht werden kann.

Eine Gruppe von sechs Mitgliedern hat in einem Sondervotum formuliert, dass sie die Empfehlung, die bestehenden Angebote zur anonymen Kindesabgabe sofort oder schrittweise zu schließen, nicht mittragen können, da sie davon ausgehen, dass für den kleinen Kreis von Eltern und Frauen, die den Weg zu den Beratungsstellen nicht finden, das Angebot anonymer Kindesabgabe ein letzter Ausweg sein kann, der ihnen eine Alternative dazu aufzeigt, ihr Kind unversorgt auszusetzen.