Jahrestagung des Ethikrates zu Genom-Editierung findet starke öffentliche Resonanz
Das menschliche Erbgut gezielt zu verändern, ist dank neuer, sogenannter "genomchirurgischer" Verfahren wie der Crispr-Cas9-Technik in greifbare Nähe gerückt. Fragen, die aus der ethischen Debatte über Gentherapie mittels Virus-Transfer bereits bekannt sind, stellen sich neu: Sollen Eingriffe in die Keimbahn beim menschlichen Embryo verboten bleiben, erlaubt werden, oder sind sie gar geboten? Was gebietet die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen? Muss man Sorge haben, dass die Einfachheit der neuen Verfahren zu einer unkritischen Anwendung der Technik verleitet?
Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, setzte zur Eröffnung der Tagung hohe Maßstäbe: "Undifferenziertes Bedenkenträgertum ist per se genauso wenig die Aufgabe ethischer Reflexion wie die nachträgliche moralische Weihe schon längst etablierter Verfahren." Dabrock zufolge gehe es vielmehr darum zu prüfen, "worauf wir als Gesellschaft uns einlassen oder eben nicht einlassen wollen mit Crispr-Cas9 und Co.".
Im Einführungsvortrag unterzog Jörg Vogel von der Universität Würzburg die Genom-Editierung einer kritischen Betrachtung. Dem enormen Innovationspotenzial, das die neuen Methoden für die Grundlagenforschung, aber auch für die Pflanzenzüchtung, die Biotechnologie oder die Behandlung von genetisch bedingten Krankheiten zweifellos in sich trügen, stünden weitreichende soziale, rechtliche und ethische Fragen gegenüber, über die sich die Gesellschaft im Sinne eines verantwortungsbewussten Handelns verständigen müsse.
Die medizinischen Handlungsoptionen waren Gegenstand des Vortrags von Karl Welte von der Universität Tübingen. Die mit den neuen Methoden möglichen Eingriffe in das Genom seien zwar überraschend einfach, so Welte, und die Behandlung genetisch bedingter Krankheiten könnte davon profitieren, es gebe aber erhebliche Bedenken gegen Eingriffe in die Keimbahn. Solange nicht klar sei, welche unvorhersehbaren Auswirkungen die gezielten Veränderungen der genetischen Information in der menschlichen Keimbahn mit sich brächten, so Weltes Plädoyer, sollten in der Medizin Alternativen wie die Präimplantationsdiagnostik und die Stammzelltransplantation weiter genutzt werden.
Jochen Taupitz von der Universität Mannheim stellte die geltende Rechtslage vor. Demnach verbiete das Embryonenschutzgesetz zwar die künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahn, es enthalte aber erhebliche Unklarheiten und Lücken. Die Begründung des Gesetzgebers, Keimbahninterventionen wegen der damit verbundenen Gefahren für die danach geborenen Menschen unter Strafe zu stellen, könnte, so Taupitz, künftig entfallen, wenn derartige Interventionen hinreichend sicher durchgeführt werden könnten.
Mit Blick auf die ethischen Fragen der "Genomchirurgie" plädierte Wolfgang Huber von der Humboldt-Universität Berlin dafür, "weder den Heils- noch den Unheilspropheten das Feld zu überlassen, sondern von Menschen erdachte Innovationen als Feld verantwortlicher Gestaltung anzusehen". Unterschiedliche ethische Herausforderungen identifizierte er bei somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention. Letztere sei nach dem derzeitigen Stand deshalb abzulehnen, weil die damit verbundenen Risiken noch überhaupt nicht absehbar und deshalb auch nicht mit den damit verbundenen Chancen abwägbar seien. Außerdem sei es notwendig, denkbare Therapien klar von der ethisch problematischen genetischen Verbesserung zu unterscheiden. Zur Unverfügbarkeit der menschlichen Identität, deren Bedeutung Huber betonte, gehöre es, den Menschen nicht gemäß einem von anderen entworfenen Bauplan zu konstruieren und zu produzieren.
Die gesellschaftliche Kontroverse über "Genomchirurgie" spiegelte sich in den vier Streitgesprächen des Nachmittags wider. Im Mittelpunkt der Diskussionsrunden, in die sich auch das Publikum intensiv einschaltete, standen die Fragen, ob "Genomchirurgie" beim menschlichen Embryo verboten, erlaubt oder gar geboten sei, was die Verantwortung für zukünftige Generationen gebiete, ob die Bewahrung des "Natürlichen" der Genom-Editierung Grenzen setze und ob die Einfachheit der neuen Verfahren zu einer unkritischen Anwendung der Technik verleite. Bei allen Divergenzen zeichnete sich in allen Diskussionsrunden ein Konsens insofern ab, als die weitere Forschung auf dem Gebiet der Genomchirurgie aufmerksam verfolgt und durch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs flankiert werden muss und ein klinischer Einsatz an menschlichen Embryonen nicht infrage kommt, solange die Methode nicht als hinreichend sicher gilt.