Pressemitteilung 02/2011

Streitfall Babyklappe

Ein Jahr nach Veröffentlichung seiner Stellungnahme zur anonymen Kindesabgabe diskutierte der Deutsche Ethikrat mit Vertretern aus Praxis, Medien und Politik, welche Entwicklungen es seither gab.
24.02.2011

Im November 2009 hatte der Deutsche Ethikrat empfohlen, die gesetzliche Grundlage für eine vertrauliche Kindesabgabe zu schaffen und die illegalen, aber bislang geduldeten Angebote von anonymer Geburt sowie Babyklappen aufzugeben. Begleitend sollten die öffentlichen Informationen über die bestehenden umfangreichen legalen Hilfsangebote für Schwangere und Mütter in Not- oder Konfliktsituationen verstärkt werden.

Christiane Woopen, stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates, führte zu Beginn in die Überlegungen des Rates ein. Zwar wurden Angebote anonymer Kindesabgaben mit der Absicht eingerichtet, Kindstötungen und Aussetzungen zu verhindern. Es sei jedoch unter Berücksichtigung von statistischen Daten und Erkenntnissen aus der forensischen Psychiatrie unwahrscheinlich, dass dies tatsächlich gelingt. Darüber hinaus sei die Not- oder Konfliktsituation der Frauen durch eine Abgabe des Kindes nicht schon gelöst. Man müsse davon ausgehen, dass in vielen Fällen das Leid der Frauen, die ohne Einbindung in einen Beratungskontext das Angebot einer anonymen Abgabe angenommen haben, später nur um so größer sei. Die Angebote hätten schwerwiegende Folgen für die psychische Entwicklung der Kinder, die unter der Anonymität ihrer Herkunft lebenslang leiden können, sowie für Mütter und manchmal auch Väter, denen der Kontakt zu ihren leiblichen Kindern lebenslang verschlossen sei. Woopen betonte: „Es geht also nicht um einen Wertekonflikt zwischen dem Recht auf Leben und dem Recht auf Kenntnis der Herkunft, sondern um zusätzliche Hilfen für die Frau.“

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat 2009 die erste bundesweite Studie zu Fallzahlen, Angeboten und Kontexten der anonymen Kindesabgabe beim Deutschen Jugendinstitut (DJI) in Auftrag gegeben. Zielsetzung, Methodik und erste Ergebnisse dieser Studie stellte Joelle Coutinho, wissenschaftliche Referentin in diesem Projekt, vor. Neben einer Erhebung der Fallzahlen und Verfahrensabläufe mithilfe bundesweiter schriftlicher Befragungen von 591 Jugendämtern und 343 Anbietern anonymer Kindesabgabe sowie qualitativer Interviews untersucht die Studie auch die psychosoziale Situation und Motivation betroffener Frauen. Coutinho berichtete von großen Unterschieden bei den Motiven und dem Professionalisierungsgrad der Träger sowie bei den Kooperationen und Abläufen nach einer anonymen Kindesabgabe.

Maria Elisabeth Thoma, Bundesvorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), berichtete über die Diskussion der Stellungnahme; letztere sei in den einzelnen Verbänden des SkF unterschiedlich wahrgenommen worden. Der Bundesverband des SkF habe sie ausdrücklich begrüßt. Die Ortsvereine wollten die derzeit existierenden Babyklappen allerdings aufrechterhalten, jedenfalls solange es noch keine gute, erprobte Alternative gebe. Der Vorschlag des Ethikrates zu einer gesetzlichen Regelung einer vertraulichen Geburt werde begrüßt, um endlich einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für vertrauliche Angebote zu haben.

Der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz stellte eine zusammen mit dem Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl angefertigte Medienanalyse zur Presseberichterstattung über die Stellungnahme des Ethikrates vor. Der Ethikrat habe mit seinem Votum versucht, einer intuitiv plausiblen, aber nur spekulativ begründeten Annahme, Babyklappen könnten Leben retten, die empirische Basis zu entziehen. Die Auswertung zeige allerdings, dass eine differenzierte Diskussion in den Medien nicht gelungen sei. Inhaltlich aufgegriffen worden sei lediglich die Mehrheitsempfehlung, Babyklappen zu schließen, womit der Ethikrat aber nicht habe überzeugen können. Es sei nicht deutlich geworden, dass diese Empfehlung auf dem Hintergrund der Überzeugung abgegeben wurde, dass kein Konflikt zwischen Lebensrecht und Recht auf Wissen um die eigene Herkunft bestehe. Die Berichterstattung der Medien habe aber genau diesen angeblichen Konflikt ins Zentrum gestellt.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsrunde mit Ingrid Fischbach, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ulrike Herpich-Behrens, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, Maria Geiss-Wittmann, Vorsitzende des Beirats von Donum Vitae in Bayern, Volker Stollorz und Ratsmitglied Weyma Lübbe.

Ingrid Fischbach berichtete, dass alle Versuche der letzten Jahre, anonyme Kindesabgaben zu legalisieren, ergebnislos verlaufen seien. Vor einer Initiative zur gesetzlichen Regelung einer vertraulichen Kindesabgabe warte man nun die Studie beim DJI ab. Insbesondere müsse geklärt werden, aus welchen Gründen Frauen die legalen Angebote ablehnen und anonym bleiben wollen und wie ihnen in dieser Situation am besten geholfen werden könne. Eine anschließende rechtliche Regelung sei dringend erforderlich, denn die aktuellen Angebote zur anonymen Kindesabgabe seien illegal.

Ulrike Herpich-Behrens erklärte, dass die Stellungnahme von den Jugendämtern und der Senatsverwaltung als sehr hilfreich für ihre Arbeit empfunden worden sei, da sie eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Problemen der Angebote ermögliche. Sie berichtete von ihr bekannten besonders problematischen Fällen in Berlin und den Schwierigkeiten, die durch eine fehlende Regulierung entstehen.

Maria Geiss-Wittmann betonte, dass man für den Schutz des Lebens vor allem die Frauen erreichen müsse. Je besser dies gelänge, desto erfolgreicher schütze man die Kinder. Ihr Verband sei mit den konkreten Lösungsvorschlägen des Rates einverstanden, denen das eigene Modell der anonymen Arm-zu-Arm-Übergabe bereits weitgehend entspreche. Insofern befürworte sie die anonyme Geburt und anonyme Kindesabgabe. Die Babyklappe lehne sie ab.

Weyma Lübbe hinterfragte das Argument „wenn nur ein einziges Leben gerettet wird, hat es sich schon gelohnt“. Der Ethikrat habe im Hauptvotum nicht hinreichend deutlich dargelegt, dass seiner Ansicht nach Babyklappen auch dann nicht gerechtfertigt seien, wenn die Behauptung einer lebensschützenden Wirkung in sehr seltenen Einzelfällen tatsächlich belegbar wäre. Eine minimale Risikoreduktion für eine Kindstötung, wie sie durch Babyklappen bestenfalls geboten werde, lasse sich gegen andere Güter und Rechte wie dasjenige auf die Kenntnis der eigenen Abstammung abwägen. Eine derartige Abwägung fände auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen ständig statt. Der Vorschlag der „vertraulichen Geburt mit vorübergehend anonymer Meldung“ sei aber vermutlich nicht als Alternative für denselben Personenkreis realistisch, da es sich um Personen ohne hinreichendes Vertrauen in persönliche Kontaktaufnahmen handle.

In der Diskussion mit dem Plenum wurden Fragen einer weiteren Duldung der rechtswidrigen Angebote angesprochen sowie die Notwendigkeit, weiterhin darüber nachzudenken, wie man Frauen in Not- und Konfliktsituationen mit Hilfsangeboten erreichen kann. Fischbach betonte, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung habe, eine klare Regelung zu schaffen. Man müsse auch damit rechnen, dass die anonym abgegebenen Kinder den Staat später für ihr Schicksal, die eigene Herkunft nicht zu kennen, verantwortlich machen werden.