Veröffentlicht: 16. Oktober 2024
In diesem Impulspapier untersucht der Deutsche Ethikrat, wie Vorstellungen dazu, was normal ist, in vielen gesellschaftlichen Bereichen normative Wirkung entfalten. Ein wichtiger Ausgangspunkt der Analyse ist der Befund, dass weder das, was als normal gilt, noch das, was im Kontrast dazu anormal, abweichend oder auffällig erscheint, einfach „vorgegeben“ ist. Manchmal laufen Normalisierungsprozesse allmählich und unmerklich ab, in anderen Fällen ist der Umsturz bestimmter Normalitätsvorstellungen das erklärte Ziel politischer Kampagnen.
Normalitätsvorstellungen prägen unser Selbst- ebenso wie unser Weltverständnis und stiften dabei Orientierung. Durch eine Analyse der vielschichtigen Beziehungen zwischen Normalität und Normativität soll das Impulspapier für die Veränderlichkeit, Kontextabhängigkeit und Mehrdeutigkeit von Normalitätsvorstellungen sensibilisieren.
Besonderes Augenmerk richtet der Ethikrat auf kontroverse Normalitätsvorstellungen in der Medizin und den anderen Lebenswissenschaften. So nimmt die Unterscheidung von Gesundheit und Krankheit oft explizit oder zumindest implizit auf Normalität Bezug. Neue Verfahren der nicht invasiven Pränataldiagnostik werfen die Frage auf, ob es so etwas wie „genetische Normalität“ überhaupt gibt und was daraus für unser Verständnis von Behinderung folgt. Der Wandel von früheren, vorwiegend defizitorientierten Sichtweisen des Alters hin zu positiven Altersbildern, die die Fähigkeiten und Potenziale älterer und auch hochbetagter Menschen in den Fokus rücken, lässt die Variabilität von Normalitätsvorstellungen besonders klar hervortreten. Die wachsende Macht digitaler Medien auf Normalisierungsdiskurse analysiert der Ethikrat am Beispiel der Bodypositivity-Bewegung, die das Aufbrechen problematischer Körperideale zum Ziel hat.
Arbeitsgruppe
- Steffen Augsberg (stellvertretender Sprecher)
- Petra Bahr (Sprecherin)
- Wolfram Henn
- Annette Riedel
- Stephan Rixen