Geschlechtervielfalt

Über den Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt wird seit einigen Jahren eine intensive, häufig höchst kontroverse gesellschaftliche Debatte geführt. Menschen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig empfinden, als es die Gesellschaft von ihnen erwartet, oder die sich nicht der binären Geschlechterordnung von Mann und Frau einfügen können oder wollen, klagen häufig über Ausgrenzung und Diskriminierungserfahrungen. Für Missverständnisse und Verwirrung sorgt in der öffentlichen Debatte unter anderem, dass es im Deutschen anders als im Englischen keine klare begriffliche Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen Geschlecht (gender) gibt. Man sollte sich beim Blick auf die Diversität der Geschlechter daher immer vergegenwärtigen, dass es dabei sowohl um Varianten des biologischen Geschlechts wie auch der sozialen Geschlechtsidentität gehen kann.

So bezeichnet der Begriff der Intersexualität bzw. Zwischengeschlechtlichkeit uneindeutige Ausprägungen des biologischen Geschlechts. Auch die Ursachen der von ihm erfassten Abweichungen der Sexualentwicklung liegen auf biologischer Ebene, darunter Varianten der Anzahl an Geschlechtschromosomen oder genetisch bedingte Auffälligkeiten auf hormoneller Ebene. Viele intersexuelle Menschen wenden sich entschieden gegen die verbreitete Pathologisierung ihrer besonderen Geschlechtsausprägungen. Ihre Kritik an den früher routinemäßig und ohne medizinische Notwendigkeit bereits im Säuglingsalter angewandten Methoden der chirurgischen Geschlechtsangleichung bzw. -festlegung hat dazu geführt, dass medizinische Leitlinien inzwischen vorsehen, solche und ähnliche (z.B. hormonelle) Behandlungen nur mit der Zustimmung der Betroffenen vorzunehmen. Auch mit der in Deutschland im Jahr 2018 eingeführten Möglichkeit, zur Bezeichnung des Geschlechts eines Neugeborenen den Eintrag „divers“ in das Geburtenregister vorzunehmen, wurden die Rechte intersexueller Menschen gestärkt.

Selbst wenn sich nach der Geburt einer Person das biologische Geschlecht aufgrund ihrer körperlichen Merkmale eindeutig feststellen lässt, kann diese Zuordnung im Verlauf ihrer weiteren Entwicklung in Widerspruch zur empfundenen geschlechtlichen Identität bzw. dem sozialen Geschlecht geraten. Ein solches Empfinden der Geschlechtsinkongruenz kann, aber muss nicht unbedingt ein Unbehagen am eigenen Körper beinhalten. Es kann sich auch auf das von einem erwartete öffentliche Auftreten, die sexuelle Orientierung oder andere Aspekte sozialer Geschlechterrollen beziehen. Entsprechend divers sind auch die von den Betroffenen gewählten Strategien, sich mit den Besonderheiten ihrer Geschlechtsidentität zu versöhnen. Bei starkem Leidensdruck können auch operative und hormonelle geschlechtsangleichende Behandlungen eine Lösung bieten. Eine schwierige ethische Problemlage ergibt sich allerdings dann, wenn bereits Kinder oder Jugendliche den Wunsch nach derartigen Maßnahmen äußern, weil diese gravierende Nebenfolgen haben können und die Geschlechtsidentität sich im Laufe des Heranwachsens wandeln kann.